Der Kampf um Ijaria hat begonnen. Und während die Mächtigen blind sind gegenüber der sich zusammenbrauenden Gefahr, zieht die Hauptstadt des freien Reiches ihre nichtsahnenden Verteidiger zusammen: Einen Gossenjungen, eine Wäscherstochter und einen Schreiberlehring.
„Ich will nicht!“
Ein kleiner Junge in kurzer Hose stand breitbeinig und mit grimmiger Miene im Uferwasser eines Flusses, der sich quer durch eine Stadt schlängelte. Mit seinem Blick fixierte er eine Frau, die unweit von ihm auf der Uferböschung stand.
„Aber du wirst und damit Basta!“
Ungehalten blickte sie den Jungen an, dann machte sie eine wedelnde Handbewegung in Richtung Wasser.
„Na los, wir bleiben hier bis es Nacht wird, wenn es sein muss!“
Einen Moment sah es noch aus, als wolle der Junge ein weiteres Widerwort geben, dann jedoch gab er seinen Widerstand auf, drehte sich in Richtung des Flusses, sprang ins Wasser und tauchte unter.
Die Frau am Ufer nickte zufrieden und setzte sich. Erst schien sie in Gedanken zu versinken, doch als der Junge nicht wieder auftauchen wollte, stand sie auf und trat näher an das Wasser. Sorge zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. Im nächsten Moment durchbrach der Junge mit rudernden Armen die Wasseroberfläche und kam keuchend zurück zum Ufer, ein Stück abseits der Stelle, wo er verschwunden war..
„Dass du mir so einen Schrecken einjagen musst!“
Schimpfend, aber sichtlich erleichtert, stampfte die Frau auf den Jungen zu. Dieser war tief atmend zusammen gesunken. Als die Frau ihn erreicht hatte, hob er den Kopf.
„Ich…“, begann er, „ich habe etwas gefunden!“
Mit diesen Worten streckte er der Frau seine zusammen geballte Faust entgegen.
„Etwas gefunden? Zeig mal her!“
Der Junge öffnete die Faust und zum Vorschein kam ein Medaillon, dass an einer Halskette hing. Es war ganz aus Gold und zeigte ein Herz, das von oben mit einem Schwert durchbohrt wurde.
„Was um alles in der Welt… !“
Die Frau nahm das Medaillon aus der Hand des Jungen, drehte es ein paar mal hin und her, und biss dann hinein.
„Ist es echt?“, fragte der Junge, der mittlerweile wieder aufgestanden war.
„Weiß nicht“, antwortete die Frau, doch ihr Blick verriet, dass sie mindestens schon eine Ahnung hatte.
„Können wir es verkaufen?“
Die Frau schüttelte den Kopf. „So jedenfalls nicht! Es ist ein Ehrenabzeichen des Königs. Niemand würde es uns einfach so abkaufen.“
„Und was machen wir dann damit?“ Die Stimme des Jungen klang fast ein wenig enttäuscht.
Die Frau sah ihn an und kniff die Augen zusammen.
„Wir lassen es einschmelzen! Wenn es echt ist, dann werden wir damit ein hübsches Sümmchen verdienen!“
Sie ließ das Medaillon in einer Hemdtasche verschwinden und machte sich auf den Weg, die Uferböschung hinauf.
Der Junge zögerte noch einen Moment, dann folgte er ihr. „Ein hübsches Sümmchen“ hatte seine Mutter gesagt. Das gefiel ihm. Doch konnte die Aussicht darauf ihn nicht davon abhalten, dass er sich fragte, wie dieses Medaillon überhaupt in den Fluss gekommen war – und was es bedeutete, ein Medaillon des Königs einzuschmelzen.